AW: General Günter Kießling ist tot
Die angebliche Erpressbarkeit war der offiziell genannte, aber vermutlich nicht der wahre Grund für die Entlassung. Der wahre Grund dürfte gewesen sein, dass man im Verteidigungsministerium glaubte, das Ansehen der Bundeswehr würde durch einen schwulen General beschädigt. Mit so einer subjektiven Begründung hätte die Entlassung aber vor Gericht, wenn Kiessling dagegen geklagt hätte, keinen Bestand gehabt. Darum musste ersatzweise eine objektiver scheinende Begründung gegeben werden, auch wenn diese eigentlich unlogisch war. Wirklich unlogisch ist sie allerdings nur, wenn einer offen zu seinem Schwulsein steht. Wenn dagegen einer, der standhaft leugnet, schwul zu sein, (wie Kiessling es tat), in Wirklichkeit doch gleichgeschlechtliche Kontakte hat, dann könnte er in einem schwulenfeindlichen Umfeld, wie die Bundeswehr es damals war, durchaus erpressbar sein. Die Schuld an der Erpressbarkeit trug dann aber nicht der einzelne Soldat, der gleichgeschlechtliche Kontakte hatte, sondern diejenigen, die die Schwulendiskriminierung in der Bundeswehr zuliessen.
Kiesslings Beleidigung darüber, dass man ihm unterstellte, schwul zu sein, und seine berechtigte Verärgerung über die Entlassung sind zwei verschiedene Dinge. Hätte man Kiessling entlassen, weil man (zu Recht oder zu Unrecht) annahm, dass ein naher Verwandter von ihm in der DDR lebte und folglich Geheiminformationen von Kiessling dem militärischen Geheimdienst der DDR hätte übermitteln können, wäre die Entlassung vermutlich genauso rechtswidrig und von Kiessling anzufechten gewesen. Neben dem rechtswidrigen und objektiv verletzenden Verwaltungsakt der Entlassung empfand Kiessling es aber noch als eine zusätzliche Schmach, dass man ihm unterstellte, schwul zu sein. Das setzt aber voraus, dass auch er selbst Homosexualität für etwas Unanständiges hielt. Als General mit dieser Einstellung war er auch mitverantwortlich für das schwulenfeindliche Klima in der Bundeswehr. So ist er schliesslich ein Opfer der von ihm selbst mitzuverantwortenden Homophobie geworden.
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